Digitale-Etikette – Was ist das und woher kommt sie?
Die Bezeichnung Digitale-Etikette ist eine Zusammenfassung aller Etikette-Regeln, die der Mensch an seinem Arbeitsplatz und in seiner Freizeit über digitale Medien mithilfe technischer Geräte verbreitet. Ich finde den Ausdruck Netikette dafür nicht zielführend. Es gibt keine „Gebrauchsetikette für das zivile und Gesellschaftsleben“ und demgegenüber Regeln für das menschliche Miteinander im Digitale Bereich. Netikette bezieht sich vom Wortstamm her auf das Netz, also das Internet. Der Umgang mit den mobilen Endgeräten oder Wearebles (tragbaren Datenverarbeitungen) wird von der Netikette immer in Bezug auf das Internet gesehen. Oft sind diese technischen Geräte aber bereits sehr individuell ausgerichtet. Meiner Meinung nach ist der Begriff Digitale Etikette hier besser aufgehoben, weil er vom Wortstamm alle Bereiche der Digitalisierung abdeckt. Die meisten Regeln über den Umgang mit Menschen untereinander gelten im Digitale ebenso wie im Berufs- und Privatleben. So war es immer und wird es auch bleiben.
Ursprung der Benimmregeln
Benimmregeln sind an den Höfen von Spanien und Frankreich als erstes entstanden. Dort pflegte man Netzwerken in Reinkultur. Netzwerken von morgens bis abends, man nannte es nur anders. Den Begriff Privatleben, wie wir ihn heute betrachten, gab es in dieser Zeit nicht. Für den normalen Hofangestellten, der mit seinen Tausenden Kollegen, viele davon adlig, in dem riesigen Schloss zusammen arbeite und meist auch wohnte, gab es kein Privatleben.
Unser heutiges Axiom, Feierabend, Ausstechen und dann beginnt die abendliche Freizeit, war damals undenkbar. Aus diesem sehr engen und zeitlich durchgehenden Zusammenleben musste ein klarer Verhaltenscodex entstehen, sonst hätten sich alle gegenseitig umgebracht. Diese Benimmregeln bestanden 24 Stunden am Tag ohne Unterlass und umfassten alle nur denkbaren Lebenssituationen bei Hofe. Eigentlich müsste man aus dieser Entstehungsgeschichte heraus das gesamte Werk der Etiketteregeln als Netzwerk-Etikette bezeichnen, da es damals noch keine digitale Verwandtschaft gab.
Etiketteregeln gleich Digitale-Etikette
Die damals entstandene höfische Etikette wurde im Laufe der letzten Jahrhunderte erst im Bürgertum und später auch von der Arbeiterschicht übernommen. Sie ist, auf die Lebensbedingungen der jeweiligen Gesellschaftsstrukturen angepasst, von der Öffentlichkeit in unterschiedlichsten Ausprägungen übernommen worden. Diese höfischen Regeln haben langsam und immer filtrierender den gesamten Lebensbereich von uns Menschen eingenommen.
Unser heute bekanntes Privatleben ist noch eine recht junge Disziplin des Zusammenlebens. Es entstand, als die begüterten Familien keine Diener, Stubenmädchen, Chauffeure, ständigen Hilfskräfte, Hausknechte, Dienstmädchen und Hausdamen mehr beschäftigten. Ein Besuch konnte sich telefonisch anmelden und kam nicht einfach so vorbei. Dem Besuchten war es schon früher gestattet einen Besucher durch das Personal ausrichten zu lassen, dass man heute nicht empfangen möchte, damit galt der Besuch nach der Etikette als abgestattet. Die Regel war aber, dass sich Familien immer bereit hielten einen evtl. Gast zu empfangen. Sie selbst waren gegenüber ihren Personal immer die „Herrschaften“, die nach bestimmten Regeln lebten. Das war für das Personal, wie für die „Herrschaften“ ein ideales Zusammenleben.
Etiketteregeln als Netzwerkinstrument
Die Benimmregel war immer auch eine Darstellung des Führungsinstruments für die eigenen Bediensteten. Die Herrschaften erklärten dem Bediensteten, was bei welcher Gelegenheit einem Gast in welcher Form anzubieten ist. Zu einem kurzen Höflichkeitsbesuch genügte das Anbieten einer Zigarette, die natürlich von den Herrschaften selber angeboten wurde. Die Zigarette lag so bereit, dass sie nur noch von den Herrschaften aufgenommen und dargereicht werden musste. War dann der Besuch noch weniger offiziell, gab es eine Tasse Tee dazu. Die Tagesgarderobe war in den eigenen vier Wänden immer der Hausrock, zum Sport ging der Hausherr in Knickerbockers und abends wurde die Abendgarderobe angezogen. Das wusste der persönliche Diener und legte die entsprechenden Kleidungsstücke zurecht. Diese geordnete Haushaltsstruktur hielt die Stil und Etikette Regeln immer lebendig.
Ähnlich ist das heute im Digitalen. Zuhause gibt es kaum noch solche Strukturen, die Kinder werden frei erzogen ohne Haushaltspersonal. Dies überträgt sich auf die Digitale Etikette, wo es keine Strukturen und damit auch keine Regeln zu geben scheint.
Adolf Freiherr Knigge riet seinem Umfeld im Umgang mit dem Adel und reichen Menschen: „Handle selbständig! Verleugne nicht Deine Grundsätze, Deinen Stand, Deine Geburt, Deine Erziehung; so werden Hohe und Niedere Dir ihre Achtung nicht versagen können. (…) Rede mit den Großen der Erde nicht von Deinen häuslichen Umständen, von Dingen, die nur persönlich Dich und Deine Familie angehen. Klage ihnen nicht dein Ungemach (…) Sie fühlen ja doch kein warmes Interesse dabei, haben keinen Sinn für freundschaftliche Teilnahme; es macht ihnen Langeweile; Deine Geheimnisse sind ihnen nicht wichtig genug, um sie treu zu bewahren“.
Diese Sätze kommen mir besonders in unserer heutigen Zeit sehr bekannt vor. Viele Nutzer der sozialen Medien fühlen sich, aufgrund fehlender direkter Rückmeldungen von ihrem digitalen Gegenüber als reiche digitale Menschen, weil sie schreiben können, was sie wollen. Gleichzeitig interessieren sie sich immer weniger für die Belange ihrer digitalen Kommunikationspartner und geben diese insbesondere aufgrund von Schadenfreude oder anderen niederen Beweggründen schamlos weiter. Die heutige Digitale Etikette ist nichts anderes als die Umgangsformen, die bereits Knigge in seinem Buch postuliert hat.
Sein Buch „Über den Umgang mit Menschen“ war nie so aktuell wie heute!